Caroline Schlegel-Schelling by Sabine Appel
Autor:Sabine Appel
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406646270
Herausgeber: Verlag C.H. Beck
∗ Kleßmann 1975, S. 130f.
∗∗ Caroline meint die ihr bekannte Seelenerkrankung nach der Geburt (postnatale Depression).
Jena
1796–1800
Am 8. Juli 1796 traf das Ehepaar Schlegel mit Carolines Tochter Auguste in Jena ein. Die Möglichkeit der Mitarbeit an Schillers Zeitschrift «Die Horen», dem «Musenalmanach» und der «Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung» hatte August Wilhelm Schlegel nach Jena geführt, und so begann hier für ihn eine hochproduktive Phase als Rezensent, Übersetzer, Kritiker und Literaturtheoretiker, in die seine Frau vielfältig involviert war. Caroline war vor allem an der ersten Phase seiner Shakespeare-Übersetzungen beteiligt, bei denen er ihr sogar mitunter redaktionell letzte Hand ließ. Wilhelm dichtete auch – er verfasste Lyrik, Satiren, Balladen und das 1801 in Weimar uraufgeführte (leider durchgefallene) Schauspiel «Ion» –, doch die Dichtung, die genuine Literatur, war nicht das Feld, auf dem die Schlegel-Brüder brillierten. Das überließen sie letztendlich anderen Mitstreitern. Friedrich hatte sein Studium der Rechtswissenschaften abgebrochen und lebte bereits seit Jahren als freier Schriftsteller – anders als Wilhelm aber zeitweise ohne jegliches Einkommen und mitunter auch auf der Flucht vor seinen Gläubigern. «Große Schulden, mußt Du wissen, wachsen wie Schneebälle», hatte er einmal seinem Bruder geschrieben. «Und ich weiß nicht ob es Glück oder Unglück ist, daß sie großen Credit geben.» Wie auch immer: Friedrich, der inzwischen zwei Jahre in Dresden im Hause seiner Schwester verbracht und dort den Plan gefasst hatte, aus der «vollständige[n] Naturgeschichte des Schönen und der Kunst», die die Geschichte der griechischen Poesie sei, eine neue Literaturtheorie zu entwerfen, aufgebaut auf den Erkenntnissen der modernen Philosophie, fühlte sich zu einer Aufgabe berufen, die ihren Zweck in sich selbst hatte, und dem standen Verpflichtungen jeglicher Art, selbst Lehrverpflichtungen, überaus störend im Wege. An keinem Punkt wie an diesem, den Fragestellungen ästhetischer Theorie, wird so deutlich, dass die Weimarer Klassik eigentlich ganz natürlich in die Jenaer Romantik mündete, dass es kein Gegensatz und kein Kampfschauplatz war, sondern ein relativ fließender Übergang, aufgebaut auf dem «Alten» und ganz Alten, nämlich hier wie dort der als mustergültig hervorgehobenen, aber letztendlich doch zu überwindenden Antike, da nun einmal eine neue Zeit neue Stilvorgaben erforderte, zunächst jedenfalls eine Standortbestimmung. Die Ästhetischen Schriften von Friedrich Schiller in Jena, der Friedrichs Bruder zwecks Mitarbeit an den in Jena herausgegebenen Zeitschriften eingeladen hatte, verfolgten ähnliche literaturtheoretische Ziele wie Schlegels Aufsätze aus dieser Zeit, doch Schiller war älter als Friedrich Schlegel und philosophisch vor allem an Kant geschult. Die Philosophie, die in Jena den Deutschen Idealismus begründete, Fichte und Schelling und Schleiermacher, später auch Hegel, die war nicht mehr seine Ära. Von Weimar nach Jena, lediglich durch zwanzig Kilometer Landstraße getrennt, fand um 1800 ein Generationenwechsel der Literatur statt, hervorgerufen durch Literaturkritik und durch Philosophie, sicherlich aber auch durch ein neues Lebensgefühl, neue Lebensmodelle. Als Schiller schließlich 1799 von Jena nach Weimar zog, was mit seiner Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft mit Goethe zu tun hatte und mit seinem inzwischen erworbenen Stand, war der Bruch mit der jungen Generation längst vollzogen, und dieser begann auf einer verblüffend persönlichen Ebene. Friedrich Schlegel kam nur wenige Wochen nach seinem Bruder und seiner Schwägerin im Spätsommer 1796 in Jena an.
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